Annegret Kramp-Karrenbauer zu Gast in Burgaltendorf
Etwa eine Dreiviertelstunde sprach die Saarländerin über  Wirtschaftsprognosen und die Stimmung in der Partei, über Europa, den  Klimawandel und Fahrverbote, Integration und innere Sicherheit. Die Rede  hatte es allerdings in sich. Und weil die als zurückhaltend geltende  Politikerin den richtigen Ton traf, brandete immer wieder spontaner  Applaus auf. Auch wer einen ihrer Konkurrenten um den Parteivorsitz  bevorzugt haben mochte, dürfte sich nach diesem Auftritt dem Lager der  AKK-Fans zurechnen.
  Dass die Prognosen aus dem Bundeswirtschaftsministerium jüngst etwas  ernüchternder ausfielen, sei noch lange kein Grund zu hadern. "Es geht  uns immer noch gut", so die Lehrerstochter aus Völklingen. "Aber wir  müssen uns etwas stärker anstrengen, damit das so bleibt." Was nicht  verschwiegen werden dürfe: "Zum ersten mal seit Jahrzehnten haben wir  die Aussicht auf eine Arbeitslosenquote von unter fünf Prozent!"
  Beim Klimawandel gelte es, Umwelt- und Naturschutz mit den berechtigten  Interessen von Industrie und Beschäftigten abzustimmen. "Wir brauchen  einen Wandel, keinen Bruch." Außerdem müsse die Bundesrepublik den  Eindruck verhindern, sich mit finanziellen Zuwendungen an  Schwellenländer von der eigenen Verantwortung freizukaufen zu wollen.  Den Kohlekompromiss nennt Kramp-Karrenbauer eine tragfähige Grundlage  für die nächsten 20 Jahre. An die Adresse derer, denen die  De-Karbonisierung zu lange dauert, richtete sie eine der wenigen, im  klassischen Sinne polemischen, Botschaften des Abends: "Wer eine  schnellere Energiewende fordert, gehört oft zu denen, die sich gegen  neue Stromtrassen wehren." Der Beifall war ihr sicher. Unter der  Maßgabe, die wirtschaftliche Stärke Deutschlands mindestens zu erhalten,  müsste in naher Zukunft geklärt werden, was die Grundlast sicherstellen  kann. "Machen wir uns nichts vor: Ohne Strom funktioniert absolut  nichts."
  Gern erinnerte sie an ihren politischen Mentor Klaus Töpfer, zweiter  Umweltminister der Bundesrepublik und längst eine international  anerkannte Autorität in seinem Metier. "Von ihm habe ich gelernt: Gute  Politik ist, wenn man Umweltschutz und Industrie vereinbaren kann. Sehr  gute Politik ist, mit Umweltschutz Geld zu verdienen." Das Land der  Tüftler, Techniker und Ingenieure sei prädestiniert, technische Lösungen  für Umweltproblem zu entwickeln.
  Diesel-Fahrverbote, wie sie auch in Essen bevorstehen, seien die  schärfste Waffe im Kampf um Luftreinheit. Sie griffen nämlich massiv in  Grund- und Eigentumsrechte von Menschen ein. Zudem seien die  Entscheidungsgrundlagen nur schwer nachzuvollziehen. "Der  Krankenschwester, die sich die hohen Mieten in der Stadt nicht leisten  kann und deshalb pendeln muss, wird schwerer Schaden zugefügt. Es sind  die hart arbeitenden Menschen, die unter Fahrverboten zu leiden haben",  stellte die 56-Jährige fest.
  Wie dramatisch weit sich die Kluft zwischen ländlichem Raum und Stadt  öffnen kann, lasse sich an der Gelbwesten-Bewegung in Frankreich  beobachten. Gegen Ungleichbehandlung und Unzufriedenheit bis zur  Ablehnung der staatlichen Ordnung habe die CDU das klare Konzept der  einzig verbliebenen Volkspartei entgegenzusetzen. "Dafür müssen wir uns  aber wieder unserer Stärken bewusst werden und selbstbewusster  auftreten", appellierte die dreifache Mutter an die Parteibasis, unter  die sich etliche Mandatsträger gemischt hatten. "Wir leben in einer  Zeit, in der es auf die CDU/CSU ankommt, weil keine andere Partei die  Kraft hat, den Problemen dieser Gesellschaft Lösungen entgegenzusetzen."
  Ernst nehmen müsse man jene Rentner, die ihr Leben lang geschuftet haben  und auf dieselbe Grundsicherung angewiesen sind, wie jemand, der nie  einen Handschlag gemacht hat. Ernst nehmen müsse man aber auch die  Sorgen von Unternehmern, die nach Plänen der SPD als vermeintliche  Spitzenverdiener anders als andere Bundesbürger weiterhin  Solidaritätszuschlag bezahlen sollen. Ernst nehmen müsse man Bürger, die  das Gefühl haben, dass in Deutschland nur noch wenig funktioniert.  "Woran die Leute das festmachen, ist wissenschaftlich erforscht. Sie  schließen vom Zustand ihrer Stadt aufs Ganze."
  Dezidierte Vorstellungen trug die ehemalige Innenministerin des  Saarlands zum Themenfeld innere Sicherheit, Migration und Integration  vor. Sie setzt auf den Erfahrungsaustausch mit den Praktikern der  Sicherheitsorgane. In "Werkstattgesprächen" will sie die Grundlagen  einer Politik erarbeiten, die sowohl der Gesellschaft als auch  Einwanderern nutzt. Mit einer "kulturellen Selbstverzwergung" in der  Bundesrepublik müsse allerdings endlich Schluss sein.
  Wer wie Annegret Kramp-Karrenbauer nahe der Grenze zu einem europäischen  Nachbarn aufgewachsen ist, hat hautnah erlebt, wie positiv sich  Freizügigkeit und kultureller Austausch auf das Zusammenleben auswirken.  Europa beschreibt sie als Summe von vier Projekten. Das Schlagwort  "Schengen" steht für Offenheit im Inneren und Sicherheit nach außen. Auf  den Euro als europäisches Integrationsprojekt könne man ebenso wenig  verzichten wie auf gemeinsame Verteidigungsanstrengungen. Und  schließlich lasse sich nur durch das machtvolle Auftreten der  Staatengemeinschaft verteidigen, was Europa von totalitären Regimen  unterscheidet: Wahrung der Menschenrechte sowie klare Vorstellungen zum  Schutz der Privatsphäre. Allzu viele setzten das aufs Spiel, wenn sie in  den Wahlen zum EU-Parlament die Gelegenheit für einen Denkzettel sehen.  "Es wird ein knappes Rennen um die Frage ob drei pro-europäischen  Parteienfamilien EVP, zu der die CDU gehört, Liberale und Sozialisten  nach der Wahl Ende Mai noch die Mehrheit der Abgeordneten stellen."
Verzagt wollte die  CDU-Vorsitzende ihr Publikum indes nicht zurücklassen. "Wir haben schon  vor größeren Problemen gestanden", sagte sie und erinnerte an den Fall  der Mauer vor bald 30 Jahren. "Darum bitte ich Sie, haben Sie keine  Angst vor schwierigen Diskussionen!"
  Nach stehenden Ovationen sprach Gastgeber Manfred Kuhmichel seinen  Christdemokraten aus dem Herzen: "Ich weiß es schon länger, aber jetzt  bin ich überzeugt, dass jedem klar geworden ist, wofür die Abkürzung AKK  steht: Annegret kann Kanzlerin." "Wer eine schnellere Energiewende  fordert, gehört oft zu denen, die sich gegen neue Stromtrassen wehren."